REVIEW  Donnerstag, 02. Mai 2024

Harold Halibut – Ebbe und Flut

Ein Abenteuer mit handgefertigten Charakteren, in realen Kulissen, und das auch noch aus Deutschland? Als Liebhaber von Adventure Games war ich natürlich sofort dabei, als Harold Halibut am Erscheinungstag auf meinem Steam Deck landete.

Während eines Vorbeiflugs an einem Planeten, der vollständig von Wasser bedeckt ist, stürzt das Raumschiff Fedora I ab und versinkt in den Tiefen eines fremden Meeres. Da alle lebenserhaltenden Systeme des Schiffs intakt bleiben, passt sich die Besatzung den Gegebenheiten an und richtet sich bald in ihrem neuen Lebensraum ein. Eine allgegenwärtige Firma namens "All Water" strebt nach Profit und etabliert ein Wirtschaftssystem sowie ein Fortbewegungsnetz innerhalb des Schiffs.

Wir begleiten Harold, einen einfachen jungen Laborassistenten, der an Bord des Schiffes geboren wurde und für die Wissenschaftlerin Jeanne Mareaux arbeitet. Mareaux sucht einen Weg, dass das Schiff diesen Planeten wieder verlassen kann. Und so beginnt unsere Reise…

Warum, wieso, weshalb möchte ich hier nicht zusammenfassen; das sollte der Abenteurer selbst erleben.

Was sofort ins Auge fällt, ist der Grafikstil. Jede Figur, jedes Setting und jeder Gegenstand wurde real gefertigt, dann digitalisiert und animiert. Es fühlt sich an, als würde man ein Spiel mit Stop-Motion-Technik spielen. Die Qualität und die Liebe zum Detail sind an jeder Ecke spürbar – deutsche Handwerkskunst, sozusagen. Das Ganze wird durch stimmungsvolle Hintergründe abgerundet. Fischschwärme ziehen vorbei, das Grün der Algen taucht jede Szene in ein gemütliches Unterwassererlebnis. Ich empfehle das Making-Of, das ich am Ende dieser Review verlinke.

Im Gegensatz zur Fülle an handgefertigten Figuren und Schauplätzen bietet das Gameplay wenig bis nichts. Wer auf ein klassisches Point & Click-Adventure gehofft hat, wird enttäuscht sein. Das Spiel konzentriert sich allein auf die Geschichte von Harold. Man bewegt sich von einem Ort zum anderen, sammelt Gegenstände ein oder bringt sie an ihren Platz, um die Handlung voranzutreiben. Dank einer digitalen To-Do-Liste, die Harold jederzeit nutzen kann, weiß man stets, wohin man gehen muss, um weiterzukommen. Ab und zu gibt es kleine Minispiele, die jedoch keinerlei Anspruch haben. Böse Zungen könnte es als eine Art Walking Simulator bezeichnen. Nein, auch faktisch spielt man hier einen Walking Simulator.

Was bleibt, ist die Geschichte, und diese ist herzallerliebst. Wenn von einem Spiel nichts bleibt außer der Geschichte, möchte ich natürlich nicht viel darüber verraten. Es geht darum, dass Harold seinen Platz in dieser Welt finden will (im wahrsten Sinne des Wortes). Wo gehöre ich hin? Welche Möglichkeiten habe ich, mich zu entfalten? Werde ich in der Gesellschaft wahrgenommen? Gibt es mehr im Leben als das Bekannte? Bin ich zufrieden mit meiner Rolle oder habe ich den Mut, neue Welten zu entdecken?

Harold, der auf dem Schiff geboren wurde und nichts anderes kennt, ist im Grunde ein liebenswerter Mensch. Er hat keine bösen Absichten, ist immer hilfsbereit und sorgt sich um alle, die mit ihm auf dem Schiff leben. Und so ist auch das gesamte Spiel. Es ist nie extrem. Es gibt keine überraschenden Wendungen oder wirklich böse Charaktere. Es ist eine angenehme Wanderung, bei der Freude, Emotionen und Spaß nie übertrieben werden. Die schrulligen Charaktere an Bord bringen einen zum Schmunzeln, aber nicht zum lauten Lachen. Die Beziehungen zwischen den Charakteren vermitteln ein warmes Gefühl der Freundschaft, aber ohne große emotionale Ausschweifungen. Kein Mord und Totschlag – und das ist einfach schön.

Aber das Spiel belohnt den Spieler auch. Das letzte Kapitel ist eines der schönsten, das ich in den letzten Jahren erlebt habe, und es rundet die Reise auf eine Weise ab, die mich entspannt auf der Couch zurücklässt.

Ich kann das Spiel niemandem empfehlen, der viel Wert auf Gameplay und Rätsel legt, denn davon bietet dieses Abenteuer wenig, was sage ich, das Spiel bietet davon nichts. Das sollte jedem bewusst sein, bevor er 35 € dafür ausgibt. Das ist etwas schade, da es natürlich den Kreis potenzieller Spieler einschränkt.

Auch bedauerlich ist, dass ein Spiel, das von der Stiftung NRW für Film und Kultur sowie dem Goethe-Institut unterstützt wurde, keine deutsche Sprachausgabe hat. Hier hätte man vielleicht weniger Schauplätze gestalten sollen, um eine deutsche Vertonung zu ermöglichen. Die englische Sprachausgabe ist jedoch sehr gelungen. Auch die Musik des Spiels ist herrlich schön und genauso zurückhaltend wie alles andere bei Harold Halibut.

Somit kann ich Harold Halibut allen empfehlen, die eine ruhige, schöne Geschichte erleben möchten, mit liebevollen Schauplätzen und Charakteren – und das alles "Made in Germany".

- Making-Of Harald Halibut
- Webseite Harold Halibut

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