REVIEW Samstag, 09. März 2024
Bei Sea of Stars handelt es sich um ein klassisches JRPG, das seine Wurzeln in der 16-Bit Ära stolz auf der Brust trägt und direkt an Klassiker wie etwa Chrono Trigger, Golden Sun oder Mario Rpg erinnert. Das Entwicklerteam von Sabotage Studios hat bereits durch den Hit The Messenger gezeigt, dass es in der Lage ist, Hommagen zu klassischen Videospielen zu kreieren, die ganze Genre mit neuem Leben füllen können. Seinerzeit stand der NES-Titel Ninja Gaiden Pate, der eine Verjüngungskur erhielt, die sich gewaschen hatte.
Damit zeigt "Sea of Stars", welchen Anspruch es an sich selbst hat und die Frage, ob "The Messenger" nur eine Eintagsfliege war oder ob Sabotage Studios zum wiederholten Mal der Coup gelungen ist, einen modernen Klassiker mit Retrocharme zu schaffen, drängt sich förmlich auf.
Um nicht lange um den heißen Brei herumzureden: Obwohl der Titel einige Macken hat, würde ich die Frage klar mit einem klaren "Sea of Stars ist Pflichtprogramm!" beantworten und wenn ihr keine Freude an längeren, getippten Reviews habt, könnt ihr hier aufhören zu lesen, euch das Spiel kaufen und ne großartige Zeit haben. (Aber mal im Ernst, was macht ihr dann überhaupt hier auf der Seite, ihr Weirdos?)
Ich werde im Folgenden mal versuchen, zu erläutern, welche Designentscheidungen ich absolut nicht nachvollziehen kann und weshalb diese aber dennoch in keinster Weise das Spielerlebnis trüben.
Wir schlüpfen in die Rolle von Valere, einer Mondmönchin und Zale, einem Klingentänzer der Sonne. Die beiden gehören einem Orden an, der nur dazu existiert, die grauenvollen Kreaturen des Fleshmancers zu vernichten und obwohl dieser Krieg fast gewonnen scheint, pfeift auch der Orden unserer Helden aus dem letzten Loch und so müssen die beiden ihr Leben der Vernichtung des letzten Fleshmancer-Eremiten widmen.
Soweit so gut, jedoch kommen wir hier zum größten Handicap, das Sea of Stars hat. Der Einstieg ins Spiel gestaltet sich in höchstem Maße dröge. Ellenlange Dialoge erklären die Welt, Valere und Zale bleiben als Charaktere sehr blass und uninteressant und ein Tutorial jagt das nächste.
Da ich selbst dazu neige, in viele Spiele mal kurz reinzuschauen, hätte mich Sea of Stars hier fast verloren.
Sobald das Tutorialsegment jedoch vorbei ist, zieht die Story rasant an. Zuerst treffen wir mit Garl dem Kriegerkoch einen alten Jugendfreund unserer Protagonisten und den heimlichen Helden des Spiels. Er ist ein stets gutgelaunter Charakter, der die Atmosphäre des Spiels maßgeblich bestimmt. Im ersten Moment ging ich davon aus, dass die Rückschläge, die er erleiden muss und die offensichtliche Unterlegenheit im Vergleich zu unseren Protagonisten als Motivation dazu herhalten, aus ihm den typischen Verräter zu machen, aber weit gefehlt. Er bewahrt seine kindliche Naivität trotz allem, was in der Story passiert. In diesem Kontext erinnert er mich stark an die wahren Helden Dostojewskis oder an Guido Orefice aus "Das Leben ist schön". Der Archetyp des resilienten Philanthropen mag vielen naiv erscheinen, aber Garl zeigt sehr schön, welche Stärke eigentlich in dieser Philosophie steckt.
Nach etwa drei Stunden Spielzeit erreicht ihr die Hafenstadt Brisk und spätestens hier wird das Ensemble mit so liebevoll gestalteten Charakteren befüllt, dass die Stunden anfangen in Nu zu verfliegen.
Haltet das Tutorial daher einfach durch.
Das Kampfsystem versucht die Eintönigkeit klassischer Zufallskämpfe durch eine Kombination vieler Elemente etwas aufzupeppen und auch wenn ich am Anfang im Tutorial etwas erschlagen davon war, funktioniert das sehr schnell sehr gut.Man kann Attacken sowie Paraden timen, Magie stehlen, gegnerische Angriffe unterbrechen, Kombopunkte sammeln, Limitenergie für ultimative Angriffe sammeln, die Gegner im Raum so positionieren, damit bestimmte Angriffe besser treffen und und und... Großartig finde ich in diesem Kontext die Möglichkeit, die Schwierigkeit der Kämpfe extrem anzupassen. Man findet sogar recht früh die Option, sich nach jedem Kampf automatisch voll heilen zu lassen, wenn man wirklich nur die Story erleben möchte, ohne eine Herausforderung im Spiel zu haben; umgekehrt kann man aber auch die Gegner extrem stärken. So ist für jeden Spielertyp was dabei.
Die Dungeons sind sehr linear angelegt, verlaufen kann man sich quasi nicht. Allerdings sind sie gespickt mit kleineren Rätseln. Auch hier finde ich die Entscheidung etwas seltsam, die Rätsel so leicht zu gestalten, dass man in fast allen Fällen auf den ersten Blick die Lösung erkennt. Die Gefahr hierbei ist natürlich, dass die Rätsel nur noch als nervige Hindernisse wahrgenommen werden, aber irgendwie haben die Entwickler etwas geschafft, was bei RPGs eher selten ist: Die Bewegung im Raum fühlt sich einfach "gut" an. Es macht schlicht Spaß zu klettern, Kisten zu schieben, über Abgründe zu springen und zu sehen, wie jahrtausendalte Mechanismen sich in Bewegung setzen, um Wege zu schaffen, wo vorher keine waren.
Etwas seltsam ist ebenfalls, dass klassische Werte wie Geld, Erfahrungspunkte, Schadenspunkte etc... nicht den Größen entsprechen, die man als klassischer RPG-Spieler so kennt. Auch im letzten Palast ziehen normale Attacken manchmal noch weniger als 100 Energie ab und auch hochgelevelte Charaktere schaffen es nicht, einen Gegner aus dem allerersten Dungeon mit nur einem Schlag auszuschalten. Dennoch bekommt man im ersten Palast, in dem die Gegner um die 100 Energie haben knapp 50 Erfahrungspunkte pro Kampf und im letzten, in dem ein Gegner knapp 800 Energie hat winken um die 20.000 Erfahrungspunkte. Ähnlich schräg steht es um die Finanzen. Kämpfe bringen kein Geld und man kann nie mehr als 999 Gold besitzen. Das führt oft dazu, dass man Essen kocht, um es zu verkaufen, um Waffen zu kaufen, aber da man nie mehr als 10 Gerichte mit sich führen kann, kocht man Essen, um es zu verkaufen, um noch par Zutaten zu kaufen, um wieder Essen zu kochen, um es wieder zu verkaufen, um irgendwann mal Waffen zu kaufen... (Ihr seht wo das hinführt)
Und obwohl alle Zahlenwerte irgendwie schräg sind und das alles nicht funktionieren sollte, stört das im Spielverlauf überhaupt nicht. Ich kann nicht exakt den Finger darauf legen, weshalb das trotzdem irgendwie klappt, aber irgendwie haben es die Entwickler geschafft, hier keine Frustraton aufkommen zu lassen.
Und auch bei der Story wurden einige Entscheidungen getroffen, die absolut nicht funktionieren dürften. Insbesondere gegen Ende werden alle paar Meter neue Charaktere und neuer Lore aus dem Hut gezogen, die überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was man bislang gespielt hat, aber alle tun so, als sei dem nicht so.
Man betritt Räume, in denen Endgegner warten, von denen man noch nie etwas gehört hat, aber die Charaktere reden plötzlich davon, dass sie seit tausend Jahren das Volk knechten. Fünf Minuten später sind sie kaputt und werden nie mehr erwähnt.
Solche Elemente sollten wirklich, WIRKLICH nicht funktionieren... aber irgendwie tun sie es trotzdem. Und hier kann ich auch erklären, weshalb. Alle Elemente dieser Welt sind mit so viel Liebe zum Detail gestaltet, dass man sie einfach genießen MUSS. Da taucht plötzlich ein Vogeltriumvirat auf, das de facto die Welt beherrscht, von dem aber noch keiner was gehört hat? Sie haben nur etwa eine Stunde Screentime, bevor man nie mehr was von ihnen hört? Völlig egal, solange sie nur liebevoll gemacht sind und ne Tonne an Charakter mitbringen.
Und hier sind wir bei der größten Stärke von Sea of Stars: Man merkt an jeder Stelle, dass die Entwickler hier ein absolutes Herzensprojekt verwirklicht haben. Die Grafik gehört zum schönsten, was ich im Indie-Retro Bereich je gesehen habe, jeder Charakter ist liebevoll animiert und noch liebevoller geschrieben (ich möchte wirklich ein privates Gespräch mit Keenathan über seinen flötenspielenden Tintenfisch führen), die Musik ist absolut fantastisch. (Yasunori Mitsuda, der Komponist von Chrono Trigger hat einige Tracks geschrieben, aber ich kann nicht raushören, welche von ihm sind... SO gut ist der Soundtrack), das "Räder"-Minispiel ist die ersten zehn Minuten völlig verwirrend, entwickelt aber so schnell einen Suchtfaktor, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie viele Stunden ich damit verbracht habe.
Lange Rede, kurzer Sinn, wenn ihr irgendwie einen "Soft Spot" für gepixelte RPGs habt und dieses warme, nostalgische Gefühl kennt, das sich anfühlt, als sei man zuhause angekommen, sobald man ein RPG auf dem SNES startet.... dann kommt ihr um Sea of Stars schlicht nicht herum.
Zum Spiel
zurück |